Zum Gedenken an Georg Dascher
Planung
Die 5,1 km lange Nebenbahn Hetzbach - Beerfelden wurde 1904 in Betrieb genommen. Voraus gingen über 40 Jahre währende Verhandlungen zwischen der Stadt Beerfelden (heute Oberzent) und der Großherzoglichen Regierung in Darmstadt. Ein Hauptgrund für die langwidrigen Verhandlungen war die damals noch unklare Streckenführung. Während die Beerfelder Befürworter der Bahn einen Verlauf Erbach, Beerfelden durch das Gammelsbachtal zum Neckar hin vorschlugen, wurde letztendlich die heute noch in Betrieb befindliche Odenwaldbahn durch das weiter östlich liegende Ittertal gebaut und erreichte bei Eberbach den Neckar. Dort hatte sie Anschluß an die Neckartalbahn. Als Grund für diesen Verlauf wurden die günstigeren Baukosten genannt.
Somit mußte Beerfelden erst einmal ohne Bahnanschluß auskommen. Den kontinuierlichen Bemühungen einzelner Beerfelder Bürger ist es jedoch zu verdanken, dass letztendlich eine Stichbahn genehmigt und ab 1902 auch gebaut wurde. Dies allerdings unter hoher finanzieller Beteiligung der Gemeinde Beerfelden.
Für den Betrieb der Strecke wurde eine auf 50 Jahre befristete Konzession an die Süddeutsche-Eisenbahn-Gesellschaft (SEG) vergeben. Diese beauftragte die in Berlin ansässige und im Eisenbahnbau erfahrene Firma Bachstein mit der Planung und dem Bau der Strecke.
Der Abstand zwischen dem Bahnhof Hetzbach, welcher Ausgangspunkt der Strecke sein sollte, und dem geplanten Endpunkt Bahnhof Beerfelden, betrug Luftlinie nur 2,8 km. Allerdings lagen zwischen diesen beiden Punkten 80 Höhenmeter, welche die Bahn auf ihrer Fahrt nach Beerfelden zu überwinden hatte. Da jedoch die maximale Steigung für die Bahn 1:50 an keiner Stelle überschritten werden durfte, müßte die Strecke entsprechend "verlängert" werden. Dies realisierten die Planer mittels zweier zusammenhängender 180° Kurven in S-Form.
Bau
Durch die Streckenverlängerung wuchs der Flächenbedarf für die Bahntrasse stark an. Dies führte zu heftigem Widerstand der Hetzbacher Grundbesitzer, da diese einen Teil ihrer Flächen für den Bahnbau abgeben mußten bzw. deren Wiesen und Acker durch die Trasse zum Teil mehrmals zerschnitten wurden. Die Hetzbacher versuchten daher den Bau der Stichbahn durch Eingaben und Einwändungen zu verhindern, da sie durch die Bahn nach Beerfelden keinen Vorteil für sich selbst sahen.
Letztendlich wurde Hetzbach auch aus der anteiligen Finanzierung der Bahnstrecke entbunden und die Kosten des Bahnbaus anteilig auf die Einwohnerzahl der Anrainergemeinden umgelegt.
Betrieb
Nach der Eröffnung der Strecke, am 30.04.1904, wurde diese mit 6 - 8 Zugpaaren täglich befahren. Als Zugmaschinen dienten 2 Lokomotiven der Baureihe T3.
Personen und Gütertransporte erfolgten im Verbund. Als Güter wurden vornehmlich Stamm- und Sägeholz, Schälrinden (Lohe) sowie Stückgut transportiert. Für die Befahrung der Strecke benötigte der Zug 14 Minuten, mit maximaler Anhängelast 17 Minuten. Die Höchstgeschwindigkeit dürfte demnach 30 km/h nicht überschritten haben.
Um 1950 waren 14 Personen für den Betrieb der Strecke verantwortlich.
Herkunkt des Namens "Schellekattel"
Auf ihrer kurzen Fahrt querte die Bahn außer der Bundestraße 45 in kurzer Folge etwa 15 Feld- Wald- und Wiesenwege. Da vor Annäherung an jeden Übergang das Läutwerk der Lok zu bedienen war schaltete der Lokführer dieses gar nicht mehr ab. Somit bimmelte das Bähnchen quasi während der gesamten Fahrt. Daher nannten die Anwohner die Lokomotive umgangssprachlich "Schellekattel". Wobei im Odenwälder Dialekt "Schelle" für Klingeln oder Läuten und "Kattel" als Kurz-Rufname für den weiblichen Vornamen Katharina steht.
Einstellung der Personenbeförderung
Recht schnell nach Inbetriebnahme zeigte sich die Tatsache, dass die Bahn hinsichtlich der Rentabilität nicht die an sie gestellten Erwartungen erfüllte. Insbesondere durch den nach dem 2. Weltkrieg einsetzenden Individualverkehr geriet die Bahn zusehends in finanzielle Schieflage.
So war es auch nicht verwunderlich, dass die SEG als verantwortlicher Streckenbetreiber nach Ablauf der fünfzigjährigen Konzession im Jahr 1954 kein Interesse an einem weiteren Betrieb der Strecke hatte. Auch das Land Hessen verzichtete aus wirtschaftlichen Gründen auf sein verbrieftes Vorkaufsrecht. Der letzte Personenzug verließ den Bahnhof Beerfelden am 31. Mai 1954.
Da die in Beerfelden ansässigen Unternehmen großes Interesse am Fortbestand der Strecke hatten, entschied sich die Gemeinde die Bahn zu kaufen und durch die Deutsche Bundesbahn ausschließlich zum Gütertransport weiter betreiben zu lassen.
Endgültige Betriebseinstellung
Am 23. Juni 1964 entgleiste ein Güterwagen auf dem unzureichend gewarteten und mittlerweile maroden Oberbau. Dies nahm die DB zum Anlaß den Betrieb mit sofortiger Wirkung einzustellen und ihren Vertrag mit der Stadt Beerfelden zu kündigen. Aus Kostengründen hatte Beerfelden schon in den Vorjahren auf die erforderliche Sanierung des Oberbaus verzichtet.
In Folge der Betriebseinstellung wurde der Oberbau der Strecke entfernt und die Trasse teilweise in Feld und Radwege umgewandelt. Vor Beerfelden wurden Teile desr Bahndamm eingeebnet und dienen heute wieder als Feld oder Weide. Ortsnahe Bahnareale wurden verkauft und überbaut.
Verbliebene Bahnrelikte
Obwohl nur noch wenig an die "Schellekattel" erinnert wird der interessierte Bahnfreund heute noch unschwer den Verlauf der Bahnstrecke im Luftbild und im Gelände ausmachen können.
Wir wollen im Folgenden den alten Streckenverlauf von Hetzbach nach Beerfelden abwandern und sehen, was heute noch von der Bahn erhalten ist.
Die nachfolgend angegebenen Streckenkilometer sind gerundet.
Streckenkilometer 0 - Bahnhof Hetzbach
Der Bahnhof Hetzbach war Ausgangspunkt der Nebenbahn Hetzbach - Beerfelden. Dort befand sich eine Weiche mit direktem Zugang zur Odenwaldbahn Erbach - Eberbach. Im Normalfall war die Weiche abgesperrt um versehentliches Einfahren zu vermeiden.
Kurz hinter dem Bahnhofsgebäude, welches sich heue in Privatbesitz befindet, befand sich parallel zum Bahngleis ein Umspanngleis mittels welchem die Lok bei Bedarf vor oder hinter den Waggons zu positionieren war.
Das Areal des Umspanngleises ist heute mit Einfamilienhäusern überbaut. Auch von den restlichen Bahnanlagen ist nichts erhalten.
400 Meter nach dem Bahnhof lief die Strecke in einem Bogen in Richtung des Gleises der Odenwaldbahn und lief parallel zu diesem um nach weiteren 400 Metern nach einer Rechtskurve die Siegfriedstraße L3108 mittels einer Eisenbrücke zu überqueren.
Die Brücke wurde nach Betriebseinstellung der Bahn in den 60-er Jahren komplett abgetragen.
Leider ereigneten sich auch Betriebsunfälle. So verunglückte im Winter 1941 eine Lok bei Hetzbach. Angeschwemmtes und gefrorenes Wegmaterial brachten sie zum Entgleisen. Bedingt durch die Hanglage stürzte die Lok um. Der Heizer konnte sich vorher aus der Lok retten, aber der Lokomotivführer stürzte mit der Lok in die Tiefe. Er verstarb 3 Tage später an den Verbrühungen, welche er sich durch ausgetretenen Heißdampf zugezogen hatte.
Nach Überquerung der Siegfriedstraße folgte die Bahntrasse der heutigen Ortsstraße "Am Wingertsbuckel", welche exakt über ihr liegt. Ab dem südlichen Ortsende von Hetzbach ist die Bahntrasse heute von einem geteerten Radweg überprägt.
Parallel zum Radweg lassen sich noch beiderseits gut die Entwässerungsgräben des Bahndamms erkennen.
Bei Streckenkilometer 1,8 wurde über den Gretenbach ein Damm aufgeschüttet. Den Bachlauf hat man durch einen aufgemauerten Durchlaß unter dem Damm durchgeführt. Ab hier beginnt die erste 180 Grad Kurve mit dem für Nebenstrecken gebräuchlichen Halbmesser von 200 Meter.
Nach dem Gretenbachdamm tritt die Strecke in den Wald ein. Dort mußte ein Geländeeinschnitt angelegt werden. Dessen Aushub wurde für den vorherigen und den folgenden Bahndamm verwendet. Am linken Rand des Einschnitts wurde der Hang bis auf etwa 1 Meter Höhe mit mörtellos aufgesetzten Bruch- und Lesesteinen befestigt.
Nach dem Geländeeinschnitt endet der Wald und die Strecke passiert auf einem weiteren Damm das Wiesental. Dort verläßt der Radweg in Richtung Beerfelden die ehemalige Bahnlinie. Der Bahndamm schwenkt kurvenbedingt wieder nach Norden in Richtung Hetzbach ein. Wobei die Strecke kontinuierlich an Höhe gewinnt.
Ab Streckenkilometer 2,5 ist der nun gut sichtbare Bahndamm mit Bäumen und Buschwerk bewachsen. Wie auf den beiden folgenden Bildern zu sehen tritt dort das alte Schotterbett des Oberbaus zutage. Das Begehen ist hier wegen der Vegetation nur schwer möglich. Dies geht aber zu beiden Seiten des Damms, sofern sich dort keine Tiere auf den Weiden befinden.
Die beiden folgenden schwarz-weis Aufnahmen zeigen den Zug in dem eben beschriebenen Streckenabschnitt in Fahrtrichtung Beerfelden.
Nun nähert sich der Bahndamm der Bundesstraße 45, welche die Bahn bei Streckenkilometer 3,0 querte. Vom Bahnoberbau ist hier nichts mehr erhalten.
Ab der Kreuzungsstelle mit der B45 endete der erste Halbkreisbogen der Strecke und es begann der lokal etwas überdehnte Zweite mit einem Halbmesser von etwa 250 Metern. An dessen Ende stand die Bahn wieder in Richtung Beerfelden. Der ehemalige Bahnkörper ist bis zu einem Abzweig ins Tal der jungen Mümling Etzean geteert. Zuvor erforderte die Streckenführung im ersten Radiensegment des Halbmessers wieder das Anlegen eines Geländeeinschnitts.
Der folgende Streckenabschnitt führt über privates Wiesengelände. Vor dem Betreten ist das Einverständnis des Besitzers einzuholen !
Nach dem Ende des zweiten Bogens verläßt die Strecke wieder den Wald und tritt ins Wiesengelände ein. Die alte Bahntrasse ist gut auszumachen und über einen längeren Abschnitt beidseits von Bäumen gesäumt. Hier hatte die Bahn den größten Anstieg überwunden.
Bei Streckenkilometer 4,0 befindet sich links der Strecke eine auffällige Fläche im Hang. Hier wurde zur Betriebszeit von der SEG Ausbesserungsmaterial gelagert.
Im weiteren Verlauf nahm die Strecke nun direkt Kurs direkt auf Beerfelden.
Der Bahndamm dort wurde weitestgehend eingeebnet und ist im heutigen Wiesengelände nur noch schwer auszumachen.
Bei Streckenkilometer 4,2 befinden sich 4 große, z.T noch aufrecht stehende langrechteckige Sandsteine in der Wiese. Diese kennzeichneten einen Kreuzungspunkt der vielen Feld- und Wiesenwege mit der Bahn.
Ab Streckenkilometer 4,3 ist das direkte Begehen der ehemaligen Bahnstrecke nicht mehr möglich, da diese hier überbaut bzw. eingezäunt wurde. Man umgeht den Bereich über den Höhenweg bis zur Mümlingstraße und folgt dieser wenige Meter hinab ins Mümlingtal. Hier im Wiesengrund verliefen die letzten 700 Meter der Bahnstrecke unterhalb der parallel verlaufenden Mümlingstraße bis zum Endpunkt am Bahnhof Beerfelden.
An Stelle des Nissan Autohauses Dillmann (Nissan-Händler) befand sich der über ein separates Gleis vom Bahnhof Beerfelden erreichbare Lokschuppen mit Reparaturwerkstatt.
Der nachfolgende Plan zeigt die Anlagen des Bahnhofs Beerfelden.
Rot = Gleise und Weichen
Blau = Bahnhofsgebäude mit Güterhalle
Grün = Lokhalle mit hinten anschließendem Werkstattgebäude
Quellen:
@ Begehung vor Ort
@ Befragung von Zeitzeugen
@ Georg Dascher - Die Nebenbahn Hetzbach - Beerfelden Eisenbahngeschichte der Stadt am Berge
@ B. Kuehlwein / Viernheim (Schwarz-Weis Fotos)