Gruorn gibt es eigentlich nicht mehr. Der Ort mit seinen ehemals knapp 670 Einwohnern auf der Schwäbischen Alb wurde für die Erweiterung des Truppenübungsplatzes Münsingen zwischen 1937 und 1939 zwangsgeräumt. Ein Trauma für die älteren Bewohner. Von Damals und Heute soll an dieser Stelle berichtet werden.
Die erste schriftliche Nennung der Siedlung erfolgte im Jahr 1254. Der alte Ort gruppierte sich um den Straßenring Münsinger Straße, Kirchgasse, welcher heute noch vorhanden ist. Durch Bevölkerungszuwachs enstanden weitere Anwesen, welche an neuen, vom Ortsring aus strahlenförmig nach außen verlaufenden Wegen angelegt wurden.
Die Bewohner des Ortes verdienten ihr Geld überwiegend als Handwerker und Landwirte. Im Ort gab es u.a. folgende Berufe bzw. Tätigkeiten: Amtsdiener, Brunnenbauer, Bürgermeister, Feldschütz, Gastwirt, Gemeindepfleger, Gipser, Köhler, Krankenschwester, Lehrer, Maler, Maurer, Schäfer, Schmied, Schreiner, Schuhmacher, Weber, Zimmermann. Man war hierdurch relativ autark.
Der Truppenübungsplatz kommt
Die im Französisch-Deutschen Krieg 1870/71 verwendeten Treibladungen für Gewehre und Geschütze bestanden aus Schwarzpulver. Mit dem Gewehr war die Feindbekämpfung auf wenige hundert Meter beschränkt. Bei Geschützen lag der maximal zu beschießende Bereich etwa zwischen 1000 und 3000 Meter. Das änderte sich schlagartig mit Erfindung der Brisanzsprengstoffe, deren Explosionsgeschwindigkeit rund 10 mal höher ist als die von Schwarzpulver. Neue Geschütze waren nun in der Lage, ihre totbringenden Granaten in über 10 km entfernte Ziele zu transportieren.
Soldaten mussten an den neuen Waffen ausgebildet werden und für scharfes Zielschießen waren Übungsplätze in geeigneter Größe erforderlich. Unter Kaiser Wilhelm II begann man in ganzen Deutschen Reich Schieß- bzw.Truppenübungsplätze anzulegen.
Wegen ihrer geringen Besiedelung, strategischen Lage und Topografie fiel die Wahl auch auf die Münsinger Hardt. Schon seit Menschengedenken wurde die Hochfläche durch Schafe und Ziegen beweidet und der Wald hierdurch auf Hügelkuppen zurück gedrängt, was den Militärs wiederum entgegen kam.
So wurde ein Areal von 3700 Hektar für die militärische Nutzung bzw. als Schießplatz requiriert. Für das Dorf Gruorn hatte dies zwar Geländeabtretungen in östlichen Gewannen zuf Folge, das Dorf selbst blieb aber relativ unbehelligt. Es lag zu dem Zeitpunkt rund 2000 Meter westlich außerhalb des Schießplatzes. So blieb es bis 1933.
Die Platzerweiterung
Nach dem 1. Weltkrieg trieben die für Deutschland ungerechten und untragbaren Friedensverhandlungen von Versailles dem Vorsitzenden der NSDAP, Adolf Hitler, Millionen Menschen in die Arme. 1933 kamen bekanntlich die Nationalsozialisten an die Macht, Hitler wurde Deutscher Reichskanzler.
Ab diesem Zeitpunkt wurde im Land wieder massiv aufgerüstet. Die Entwicklung neuer, weitreichender Waffen erforderte abermals größere Schießplätze um die Truppen an Waffen im Gelände zu schulen.
So beschloss man den Schießplatz Münsingen in westlicher Richtung um weitere 3000 Hektar auf 6700 Hektar Gesamtfläche zu erweitern. Hieraus resultierte eine größte Ausdehnung von 12 km in Ost-Westrichtung bzw. 7 km in Nord-Südrichtung.
Der Räumung
Das Dorf Gruorn lag nun in der Platzerweiterung. Da eine Aufrechterhaltung des Dorfbetriebs unter militärischen Gesichtspunkten nicht möglich war, wurde beschlossen, die Bewohner umzusiedeln und das Dorf dem Verfall preiszugeben. Die Bürger Gruorns hatten hierbei keine Einspruchmöglichkeit.
Die Dorfräumung vollzog sich zwischen 1937 bis 1942 in mehreren Schüben.
Mögliche Rückkehr ?
Nach dem für Deutschland verlorenen 2. Weltkrieg bestand bei den vertriebenen Bewohnern die Hoffnung, wieder in ihr Dorf zurück kehren zu können. Zumal die Bausubstanz noch in gutem Zustand war. Kriegseinwirkungen waren im Ort keine zu verzeichnen.
Jedoch erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Zwar wohnten nach Kriegsende noch Personen illegal in einzelnen Gebäuden, ab 1950 beanspruchte die als Kriegsgewinner einziehende Französische Armee den Truppenübungsplatz nun in Gänze für sich. Sie sollte auch bis zum ihrem Abzug im Jahr 1995 Herr der Anlage bleiben. Der Truppenübungsplatz und das zugehörige Alte Lager wuden eine französische Exklave.
Legende zu obigem Bild:
Rot = ehemalige Gebäude
Blau = Dorfteich (Hüle)
Grün = Restaurierte Gebäude (Schulhaus und Kirche)
Gruorn damals
Der Verfall
Die Guorner Gebäude wurden alsdann von den französischen Infanteristen für Häuserkämpfe benutzt. Instandhaltungen unterblieben. Privatpersonen hatten keinen Zugang zum Übungsplatz bzw. Dorf.
Durch Witterungseinflüsse wurden die überwiegend aus Fachwerk bestehenden Gebäude immer baufälliger, Teile begannen einzustürzen. 1976 entschloß man sich daher die noch stehenden Ruinen zu sprengen. Ausgenommen hiervon waren das ehemalige Schulhaus und die Kirche. Da beide Gebäude massiv aus Stein erbaut waren, konnten sie dem Zahn der Zeit und den Waffeneinwirkungen mehr Widerstand entgegen setzen als die übrigen Fachwerkgebäude.
Demos
Gruorn heute
Nachdem der Truppenübungsplatz in die zivile Nutzung übergegangen war wurden Schulhaus und Kirche renoviert. Im Schulhaus befindet sich eine Gaststätte mit Biergarten. In dessen Obergeschoß wurde ein Heimatmuseum mit Relikten aus dem Ort eingerichtet. Der Eintritt ist frei.
In der Kirche werden zu bestimmten Terminen wieder Gottesdienste abgehalten. Auch der umliegende, alte Friedhof wird wieder von Ehrenmatlichen gepflegt.
Im Sommerhalbjahr werden Sonntags Führungen durch die abgegangene Ortschaft angeboten.
Jeweils an Pfingsten und Allerheiligen gibt es Treffen von ehemaligen Dorfbewohnern und deren Nachfahren in Gruorn.
Man kann die Ortsreste nur in einer 30 minütigen Wanderung- oder mit dem Fahrrad- vom Wanderparkplatz Traiflinger Säge aus erreichen. Die Zufahrt für Kraftfahrzeuge ist gesperrt.
Im Jahr 2023 wurde die Obere Hüle nahe beim ehem. Adolf Hitler Platz wieder angelegt. Hierbei handelt es sich um einen mit Lehm abgedichteten Dorfteich, welcher sich vorher an gleicher Stelle befand. Diese Art der Wasserhaltung war vor Installation der Wasserleitungen auf der trockenen Alb unabdingbar und in jeder Ortschaft teils mehrfach vorhanden. Die Hülen dienten als Sammelstellen für Regenwasser, als Viehtränke, Löschwasserbehälter und in heißen Sommern der Dorfjugend als Badegelegenheit.
Weitere Dorfreste
Dem aufmerksamen Betrachter werden die mit Büschen und Bäumen bestandenen kleinen Hügel beiderseits der alten Dorf-Ringstraße auffallen, sofern er diese abläuft. Unter Ihnen befinden sich die Schuttreste der abgerissenen Gebäude. In der vegetationslosen Jahreszeit sieht man dort deren Mauer- und Ziegelreste. Auch manchen teilverfüllten Keller kann man noch erkennen.
Unmittelbar neben der Dorfstraße befinden sich noch einige seltsam anmutende Stahlbetonrelikte. Hierbei handelt es sich um die im Boden verankerten Aufnahmen für die hölzernen Straßen-Beleuchtungsmasten. Diese zweiteilige Konstruktion hatte den Vorteil, dass die in den Betonsockeln verankerten Holzmasten keinen direkten Kontakt zum feuchten Erdreich hatten und sich somit ihre Lebensdauer verlängerte. Außerdem waren die Masten durch ihre massiven Betonfüße vor Anremplern durch Fuhrwerke besser geschützt.
Am nördlichen ehem. Dorfrand (Kegel-Graben) haben die Franzosen 2 Gebäudeatrappen aus Beton ohne Dach errichtet. Sie dienten den Truppen für das Häuserkampf-Training. Erstellt wurden sie wahrscheinlich erst nachdem die Häuser Gruorns wegen Baufälligkeit nicht mehr betreten werden konnten.
Quellen
@ Ausstellung im Heimatmuseum Gruorn
@ Beschilderung vor Ort
@ Angelika Bischoff-Luithlen Gruorn-ein Dorf und sein Ende
Stand 2023