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Zum Gedenken an Hans Morr

Hans-Günther Morr

Der Beerfelder Galgen, besterhaltene Gerichtstätte Deutschlands

Die Odenwälder Stadt Beerfelden liegt in der Grafschaft Erbach auf einem sanften Höhenrücken, der bis zu einer Höhe von 500 m ii. NN. ansteigt. Die Gemeinde erhielt schon 1328 Stadtrechte und erlangte damit schon bald eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung. Dadurch wurde sie zur Oberzent mit eigener Verwaltungseinheit innerhalb der Grafschaft Erbach. Damit verbunden war auch die Ausübung der höheren Gerichtsbarkeit. Sichtbares Zeichen aus dieser Zeit ist noch heute die auf einer nahen Anhöhe erstellte Richtstätte. Ein zunächst aus Holz bestehender Galgen wurde 1597 durch den heutigen Galgen ersetzt. Die Richtstätte wird als „dreischläfriger Galgen" bezeichnet, weil sie aus drei Sandsteinsäulen besteht, die im Dreieck gegenüber stehen und oben mit Querverbindungen miteinander verbunden sind. Damit konnten gleichzeitig mehrere Exekutionen vorgenommen werden. Das (liegende) Sandsteinkreuz vor dem Galgen soll die Stätte der letzten Buße, zur Absolution für den Missetäter, gewesen sein. Der zum Tode Verurteilte wurde mit dem Schinderkarren zur Richtstätte gebracht. Dort bekam er den Strick um den Hals gelegt und dann wurde der Karren weggezogen. So gelangte der Delinquent in freie Hanglage und kam entweder durch Genickbruch oder durch Ersticken zu Tode.        

 

Die leichte Erhebung, auf der die Richtstätte errichtet ist, erlaubte dem Besucher wie auch dem Verurteilten einen atemberaubenden Blick über das herrliche landschaftliche Panorama; es war Läuterung für den Verurteilten, der nun die Welt verlassen sollte und zugleich Abschreckung und Mahnung flur alle, die das gültige Recht zu brechen drohten. Diese abschreckende Wirkung wurde noch dadurch bestärkt, dass die Gehenkten bis zu ihrer Verwesung am Galgen hängen blieben. Anschließend verscharrte man sie nicht auf dem Friedhof, sondern in ungeweihter Erde.

Wie viele Menschen tatsächlich an diesem Galgen hingerichtet wurden, kann nicht mehr geklärt werden, da die meisten Gerichtsunterlagen beim großen Brand in Beerfelden im Jahre 1810 zerstört wurden. Die letzte Hinrichtung soll im Jahre 1804 erfolgt sein. Eine arme Zigeunerin wurde wegen Hungerdiebstahls eines Brotes und zweier Hühner gehängt!

Dass sich die mittelalterliche Richtstätte als einzige erhalten hat, ist günstigen Umständen zu verdanken. Nach der Abschaffung der allgemeinen Todesstrafe im Deutschen Reich wurden weder der Befehl des Kaisers Josef II. aus Wien 1788 noch der Aufruf des Großherzogs aus Darmstadt im Jahre 1816, den Galgen in Beerfelden abzubauen, umgesetzt.

 

Linkes Bild: Das würfelkörmige Postament mit dem Säulenfuss.

Rechtes Bild: Detail, Eisenklammer im Säulenfuss als Verbindung von der leicht gekehlten Unter- zur Mittelsäule.

Linkes Bild: Neuzeitliche Gussplatte mit Daten zum Galgen

Rechtes Bild: Das waagrecht auf dem Boden vor der Richtstätte liegende dreiteilige Absolutionskreuz. Es war der Platz, an dem sich der Delinquent seine Beichte ablegen und Trost von einem Geistlichen erhalten konnte, bevor der Scharfrichter den Verurteilten hinrichtete.

Heute schaurig schöne Touristenattraktion, damals Scheidestätte vom Dies- zum Jenseits

Aufbau der Richtstätte

Die Aufbauten des Galgens sind aus Odenwälder Buntsandstein gefertigt. Der Grundriss der Anlage bildet ein Dreieck, in dessen Winkeln im Abstand von etwa 4,5 Metern sich je eine tragende Säule erhebt. Die Basis der einzelnen Bauelemente bildet ein würfelfdrmiges Postament, darauf der Säulenfuß, auf dem die eigentliche Säule insgesamt etwa fiinf Meter nach oben flihrt. Wohl aus Transportgründen wurden die Säulen aus vier einzelnen Walzen hergestellt Die obere Säule verjüngt sich leicht nach oben und nimmt damit der Anlage etwas die strenge Form. Diese Art des Säulenauslaufes ist schon seit der Antike bekannt. Nach oben begrenzt werden die Säulen von einem steinernen Halsring und darüber einem Kapitell. Die einzelnen Bauteile, wie Postament, Säulenfuß, die vier eigentlichen Säulen, der Säulenauslauf und das Kapitel werden durch Eisenklammern mehrmals am Umfang zusammengehalten. Bemerkenswert ist, dass die Eisenklammern an den Enden mit Bleifüllungen im Sandstein verankert sind. Blei ist bekanntlich elastisch und kann damit Temperaturspannungen ausgleichen. Diesem fachlichen Kunsttrick ist wohl der gute Zustand der Richtstätte zu verdanken!

Auf den Kapitellen liegen von Säule zu Säule horizontal Holzbalken, die an der Unterseite durch Flacheisen verstärkt sind. Diese Eisenbänder sind oben in den Kapitellen fest verankert und geben dem Gesamtgebilde die nötige Stabilität. In gleichem Abstand zwischen den Ständern sind an der Unterseite der horizontalen Querverbindungen je zwei 60 cm lange Eisenketten angebracht. Sie waren zur Aufnahme der Hanfschlinge, die man dem Delinquenten um den Hals gelegt hatte, gedacht. Damit konnten gleichzeitig sechs verurteilte Täter vom Leben zum Tode befördert werden.

Die historische Richtstätte bei Beerfelden ist noch heute in dem Zustand erhalten, wie sie vor 400 Jahren erbaut wurde. Lindenbäume waren schon immer Symbole der Gerichtsbarkeit, Verhandlungen und Urteile wurden öffentlich unter der Gerichtslinde gesprochen. So ist es nur natürlich, dass um den Galgen ebenfalls Lindenbäume stehen. Der gesamte Bezirk ist mit etwa ein Meter hohen unbearbeiteten Stellsteinen begrenzt. Der kahle Galgen mit den alten Linden, eingerahmt durch die Steinplatten, verleiht dem Ort ein schaurig-schönes Aussehen!

Der Aufbau der Richtstätte zeigt Stilelemente der Renaissancezeit. Er war damit in seiner aufwändigen Ausführung mehr als nur eine einfache Richtstätte und gab Zeugnis für die große Bedeutung, die der Oberzent Beerfelden als wirtschaftlicher und gerichtlicher Mittelpunkt der Region zukam. Für den Metallurgen bergen die beim Bau des Galgens verwendeten Eisenteile, sowohl Klammern, Ketten und Beschläge, einige Geheimnisse. Bekanntlich rostet Eisen stark, wenn es längere Zeit der Witterung ausgesetzt ist. Alle Eisenteile, die einst beim Galgenbau verwendet wurden, sind vermutlich vom Dorfschmied hergestellt worden und zeigen bis heute keinerlei Rostspuren! Nichtrostende Metalle gab es im auslaufenden Mittelalter noch nicht, so stellt sich die Frage: Welche geheimnisvollen Metalllegierungen mag der Dorfschmied verwendet haben? Vielleicht ist die Meinung im Volksglauben berechtigt, dass mit dem Galgen eine geheimnisvolle Zauberkraft verbunden ist !

 

Eine Richtstätte ist eigentlich ein makaberer Ort, um den man lieber einen großen Bogen macht. Um das düstere Thema etwas aufzulockern, werden nachfolgend einige makabere Begebenheiten, die sich um den Beerfelder Galgen zugetragen haben sollen, angefügt.

 

Was wird die Woche noch alles bringen ?

Ein wunderschöner Tag. Einmal sollte ein Missetäter wegen seiner Verbrechen gehängt werden. Es war an einem wunderschönen Montagmorgen, und als er schon den Strick um den Hals hatte, schaute er noch einmal in Gottes schöne Welt hinaus und seufzte dabei: „Die Woche fängt gut an, was wird sie noch alles bringen?"

 

Ohne mich kein Spektakel

Eine öffentliche Hinrichtung war eine besondere Veranstaltung, zu der sich regelmäßig eine große Schar Menschen anfand. Wieder einmal wurde eine verurteilte Diebin zur Richtstätte geführt, auf gleichem Weg drängten sich die Schaulustigen. Da rief die Verurteilte der sensationslüsternen Menschenmenge zu: „Ihr braucht euch nicht zu beeilen, ohne mich als Hauptperson kann das Spektakel nicht stattfinden."

Kapitel als oberer Säulenabschluss mit den Querbalkenauflagen. Links eine der sechs 60 cm langen Hakenketten zum Einhängen des Henkerstricks.

Der Kropf als Lebensretter

Es war in der alten germanischen Rechtssprechung üblich, dass, wenn sich bei einer Exekution etwas Außergewöhnliches ereignete, wie z.B. das Reißen des Strickes oder das Brechen eines Astes, an dem der Täter aufgeknüpft werden sollte oder gar das Umstürzen des Galgens, dies als Gottesurteil angesehen und dem Delinquenten das Leben geschenkt wurde. Der Odenwalddichter Adam Karrillon erzählt in seinem Roman „Die Mühle zu Husterloh" eine lustige Begebenheit, die sich beim Beerfelder Galgen zugetragen haben soll.

In der Geschichte lässt Karrillon seine Romanfigur, den Wallfahrer Hans Rabenschuh, als dieser mit seinen Mitwallfahrern an der Gerichtsstätte vorbeikam, erzählen: „Als noch die Grafen von Erbach ihr eigenes Zentgericht hatten war damals mein Großvater Scharfrichter. Gar manchem hat er bei gutem und schlechtem Wetter hier an dem Querbalken in die Höhe geholfen, damit er die Gegend noch einmal gründlich betrachten und dann Abschied nehmen könne. So schritt er auch eines Tages neben dem Kaspar Sachs, einem verurteilten Wilddieb, nach dem Hochgericht. Dieser hatte sein Unrecht eingesehen und ging gelassenen Schrittes, Pfeife rauchend, der Ewigkeit entgegen. "Lieber Henker", sagte er unterwegs, "die Pfeife ist einen Gulden wert und frisch mit Tabak gestopft. Sie soll nach meinem Tode dein Eigen sein, wenn du mir einen kleinen Gefallen tun willst. Sieh' her, ich habe am Hals einen mächtigen Kropf. Nun bin ich unter der garstigen Rübe ein wenig kitzlig, sei drum so gut und lege deine hiinferne Halsbinde über des Kropfes größte Wölbung. Die Pfeife wird noch brennen, wenn ich ausgeschnauft habe und du kannst sie weiterrauchen".

Meinem Großvater gefiel der Handel und er tat wie verabredet. Einen Augenblick baumelte Kaspar Sachs am Querbalken, dann rutschte die Schlinge übers Gesicht, riss die Pfeife aus dem Mund, drückte die Nase ein wenig platt und nach dieser Unbequemlichkeit stand der Missetäter mit beiden Stiefeln auf dem Rasen unter dem Galgen. "Wer einen Hirsch schießt", sagte der Zentrichter, "der soll gehängt werden, so verlangt es das Gesetz !". Darauf mein Großvater: "Kaspar Sachs ist gehängt, also haben wir mit der Sache nichts mehr zu tun". (Gottesgericht). Der Wilddieb nahm seine Pfeife auf und lief mit großen Schritten seiner Heimat entgegen. Mein Großvater stand grün vor Ärger auf der Leiter und rief dem Davoneilenden nach: "Halunke, ein andermal mach ich dir den Strick unter die Rübe!"

Vorne rechts, im Boden eingelassen das Absolutionskreuz. Dahinter die neuzeitliche Hinweistafel und der Galgen
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© Hans-Günther und Jürgen Morr