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Zum Gedenken an Hans Morr

Hans-Günther Morr

Revolutionsereignisse 1848/49 im Überwald

Die revolutionären Februarereignisse von 1848 in Frankreich mit ihrem liberal-demokratischen Gedankengut waren über Baden bis in den Odenwald ge­schwappt und fanden gerade in Wald-Michelbach eine glühende Anhängerschaft.
Hier forderte man, ebenso wie landesweit in den sogenannten Märzforderungen,
die elementarsten Menschenrechte, wie Gleichheit al­ler Bürger vor der Justiz-
und Staatsmacht, Pressefrei­heit, Religionsfreiheit, Volksbewaffnung, Recht auf
freie Vereinigung, dazu Redefreiheit u. a. ein.

Es hatte sich im Ort ein demokratischer Verein gebildet, dessen Präsident der Pfarramtskandidat und Sohn des evangelischen Ortsgeistlichen Luis Karl Dauber war. Ihm zur Seite stand- nicht minder aktiv- Nikolaus Bangert. In dessen elterlichem Hause, dem Gasthof Zum Schwanen, hatte die Revolutionsgruppe ihre Tref­fen. Bei den Zusammenkünften wurde mit heißem Herzen und glühenden Köpfen von der bevorstehen­den besseren Zeit geschwärmt.
Die Parolen fielen auf fruchtbaren Boden, so daß die Anhängerschaft von Mal zu
Mal anwuchs. Solche Aktivitäten blieben natürlich der Großherzoglich Hessischen
Regierung in Darmstadt nicht verborgen. Zur Abschreckung und zur
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung wurden von Seiten der Regierung
Truppen der 1., 3. und 4. Kompanie des Großherzoglich Hessischen Infanterie-
Regiments, etwa 400 bis 500 Mann, vom 7. Juni bis zum 2. August 1848 stationär
nach Wald-Michelbach verlegt. Dies erfahren wir aus dem Kassenbuch von1848 im
Wald-Micheibacher Gemeindearchiv:

 

Für Verpflegung der Großh. Hess, Truppen: Aus der Kasse des 1.ten & 4. ten Großh. Hess. Infanterie-Regiments wurden für Verpflegung vom 7. Juni bis 31. Juli 1848 an die Gemeindekasse 1691 fl. [Gulden] 63 1/2 k [Kreuzer] vergütet.



Der gesamte Betrag wurde umge­hend von der Gemeinde an den Quartierträger Georg Arnold der 2.ten und Consorten für die Verpflegung der einquartierten Truppen ausbezahlt. Ein weiterer Eintrag im Kassenbuch von 1848 zeigt, daß die hessischen Truppen in Wald-Michelbach, zu­mindest von verantwortlicher Seite, freundlich emp­fangen wurden:

 

Dem Musikus Jakob Maurer von Olfen für das Musizieren bey der Empfangnahme der Trup­pen durch die Bürgergarde 6fl. vergütet.

(Die relativ hohe Summe von 6 Gulden war sicher für die gesamte Kapelle gedacht).

 

Die gemäßigten demokratischen Kräfte in Wald­-Michelbach wurden von den Fabrikanten Ludwig An­ton und Franz Scheidegger angeführt. Franz Scheid­egger betrieb im Ortsteil Straßburg eine zur damaligen Zeit recht bedeutende Büttenpapierfabrikation. Er wur­de auserwählt, seine Gemeinde bei der Nationalver­sammlung zu vertreten. Dies ersehen wir aus den Unterlagen im Gemeindearchiv:

 

Den 8 Wahlmännern zur constituierenden Deutschen Nationalversammlung, Franz Scheidegger und Consorten für eine Reise nach Erbach zur Wahl a. 3fl, per Mann.

 

Unter der Führung des Aschbacher Zündholzfabrikanten J.Ludwig Anton bildete sich auf gesetzlicher Grundlage eine Bürgergarde, der über 200 Freiwillige angehörten. Auf dem wüstliegenden Gelände am Kö­nigsbuckel hielten sie ihre Exerzier- und Schießübungen ab. Dazu hatte die Großherzoglich Hessische Waffendirektion Darmstadt 40 Karabiner bereitgestellt, die jedoch nach den Maiereignissen noch im Jahre 1849 wieder abgeliefert werden mußten.
Anton und Scheidegger waren auf Grund ihrer gesellschaftli­chen Stellung und
politischen Tätigkeiten als Füh­rungspersonen der Wald-Michelbacher Demokratiebewegung anzusehen, erschienen jedoch nicht in den Anklageakten und beteiligten sich vermutlich daher nicht an subversiven Aktionen.

In heimatkundlichen Romanen ( z.B. Michael Hely von Adam Karrillon oder Die Schweizer Garde von Ja­kob Hoffmann) ist immer wieder die Rede von einem Freiheitshelden mit Namen Hein. Er soll unter ande­rem beritten durch das Dorf gesprengt sein und dabei mit der Pistole in der Hand die reservierten Bürger zu politischen Protestaktionen genötigt haben. Diese Per­son wird nur einmal in der Anklageschrift gegen L. K. Dauber erwähnt. Er soll bei der Volksversammlung in Ober-Laudenbach im Auftrage von Dauber Kurierdienste verrichtet haben. Da Hein weder angeklagt noch verurteilt wurde, muß angenommen werden, daß er bei den Revolutionsereignissen ebenfalls nur eine Nebenrolle gespielt hatte und als "Romanfigur" zu besonderer Bedeutung kam.

 

Am 23, Mai 1849 besuchten einige aus der Demokratiegruppe, darunter Dauber und Gärtner, die Volksver­sammlung in Erbach. Die dort verbreiteten Parolen waren Ausgangspunkt für die sich am nächsten Tag anschließende Volksversammlung in Ober-Laudenbach.

Am Morgen des 24. Mai 1849 zog unter Sturmläuten der Kirchenglocken eine stattliche Wald-Michelbacher Personenzahl, es sollen einige Hunderte gewesen sein, von der Straßburg (südlichster Ortsteil von Wald-Michelbach) kommend, über den Binzig durch den Ortskern, den Stallenkandel hoch in Richtung Laudenbach. Man hatte sich mit Knüppeln, Dreschflegeln und einigen Schußwaffen ausgerüstet.

 

Die tragischen Ereignisse mit der blutigen Auflösung der Ober-Laudenbacher Volksversammlung durch das preußische und hessische Militär sind wiederholt publiziert worden und sollen deshalb nicht Gegenstand dieser Beschreibung sein.

 

Wie die Geschichte lehrt, war die Heimkehr der am Morgen voller Tatendrang ausgezogenen Freiheitskämpfer des Nachts zum 25. Mai 1849 weniger euphorisch. Am härtesten traf es Johannes Fischer aus Hartenrod. Er kam bei der Volksversammlung zu Tode. Dies erfahren wir aus dem katholischen Pfarrbuch von Wald-Michelbach aus dem Jahre 1849 (gekürzt):

 

Im Jahre Christi 1849 am 24. Mai, abends ungefähr sieben Uhr starb in Ober-Laudenbach in Folge eines da­selbst erhaltenen Schusses, nachdem zuvor eine Volksversammlung allda stattgefunden, der ledige Johannes Fische, 27 Jahre alt, von Hartenrod des dortigen Beigeordneten und Bauers Peter Anton Fischer und dessen ersten Ehefrau Christina, geborene Schmitt, ehelicher Sohn und wurde am 27. Mai 1849 morgens halb zehn Uhr, auf dem hiesigen Friedhof christlichen Brauches gemäß zur Erde bestattet.

 

Georg Bauer, Bürger der Nachbargemeinde Wahlen und 33 Jahre alt, beteiligte sich mit seiner Ortsgruppe ebenfalls an der Volksversammlung in Ober-Laudenbach. Bei dem dort stattfindenden Militäreinsatz kam auch er zu Tode. Er wurde auf dem katholischen Friedhof in Wald-Michelbach beigesetzt. Von den Wald-Michelbacher Beteiligten bzw. Mitläufern wurden acht als Hauptwühler ausgemacht.
Dieser Personenkreis wurde hiernach von dem Großherzoglichen Assisenhofe der Provinz Starkenburg wie folgt verurteilt:

 

Durch Urteil vom 30. August 1851:

Peter Priester, geboren um 1795, wegen Landesverrats,
widerrechtlichen Eindringens in fremde Wohnungen und Drohungen, eine
Zuchthausstrafe von 6 Jahren.

Peter König, geboren 1820, Dienstknecht, gebürtig von Siedelsbrunn, wegen Aufruhrs eine Zuchthausstrafe von 2 Jahren.

Luis Karl Dauber, geboren 1822, Pfarramtskandidat, wegen Aufruhrs eine Gefängnisstrafe von 1,5 Jahren.

Christian Hering, geboren 1812, Maurer, wegen Auf­ruhrs eine Gefängnisstrafe von 1,5 Jahren.

Durch Urteil vom 21. Dezember 1852 (In contumaciam).

Johann Adam Gärtner, geboren 1801, ehemaliger Bürgermeister, wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Landesverrat, sowie Anstiftung zum Aufruhr
und bewaffneter Teilnahme daran, eine Zuchthausstrafe von 10 Jahren,

Nikolaus Bangert, geboren 1827, Bäckergeselle, wegen Vorbereitung zum Hochverrat sowie Anstiftung zum Aufruhr und bewaffneter
Teilnahme daran, eine Zuchthausstrafe von 6 Jahren.

Franz Jakob Hiltenbeutel, geboren 1810, Sattlergeselle, wegen Vorbereitung zum Hochverrat sowie Anstiftung zum Aufruhr und bewaffneter Teilnahme daran, eine Zuchthausstrafe von 6 Jahren.

Peter Mechler, geboren 1.817, Gastwirt, wegen Vorbe­reitung zum Hochverrat sowie Anstiftung zum Aufruhr und bewaffneter Teilnahme daran, eine Zuchthausstrafe von 6 Jahren.

Johann Adam Gärtner, Bürgermeister und Demokrat erhielt die schärfste Strafe. Seine Person soll etwas näher beleuchtet werden. Er wurde am  30. Mai 1801 in Mengelbach, Ortsteil von Wald-Michelbach, geb­ren. Sein Vater  war der Gemeinsmann Johann Philipp Gärtner aus Mengelbach, verehelicht mit  Elisabetha Catharina geborene Öhischläger. Von Beruf war Johann Adam Gärtner Sattler und Wirt des Gasthauses Zum Odenwald, außerdem Bürgermei­ster in Wald-Michelbach von 1832 bis 1843. Seine An­klageschrift lautet wie folgt (gekürzt):

 

Adam Gärtner gesteht, die auf den demokratischen Volksversammlungen
empfangene Lehren hätten den Sinn seines Amtes beseitigt. Auch habe er sein Vermö­gen dadurch verloren. Er war in Erbach und ging bewaffnet zur
Volksversammlung nach Ober-Laudenbach. Noch während den Auseinandersetzungen zwischen den Freischärlern und den regulären Truppen diente er den Feinden als Spion.

 

Im September 1849 entzog sich Gärtner durch Flucht nach Amerika einer Bestrafung.

Bei der Analyse der Ereignisse von 1849 fällt beson­ders die unterschiedliche Verurteilung der beteiligten Personen auf. Der Wald-Michelbacher Hauptagitator Dauber bekam 1,5 Jahre Gefängnis. Der mehr als Mit­läufer zu bewertende Gärtner dagegen 10 Jahre Zucht­haus. Hier wurde wohl Gärtners Vergehen, als Repräsentant der gültigen Staatsform, in seiner Eigen­schaft als ehemaliger ürgermeister wesentlich stren­ger beurteilt.

Bild oben: Aktive Demokraten aus dem Odenwald von 1848/49.

Für die Teinahme an den Volksversammlungen in Ebach und Ober-Laudenbach wurden sie hart bestraft: Luis Karl Dauber aus Wald-Michelbach zu 1,5 Jahren gefängnis; Conrad Querdan aus Hammelbach, wohnhaft in Fürth zu 4 Jahren Gefängnis; Heinich Seip aus Beerfelden zu 10 Jahren Zuchthaus; Franz Zeiss aus Fürth, Urteil unbekannt. Original im Privatbesitz von Frau Gertie Zeiss Fürth.

 

Anhand eines behördlichen Vorgangs soll versucht werden, den Charakter und die demokratische Denk­weise Gärtners im nachhinein zu beschreiben.
Die Gemeinde Wald-Michelbach, als zentraler Ort des Überwaldes, war schon zu
Beginn des 19. Jahrhun­derts im Besitz einer großen Feuerspritze. Die vierräd­rige
Handpumpe erforderte den Einsatz von mehreren Feuerwehmännern. Kam es zu einem Schadensfeuer, ebenso in einer Nachbargemeinde, mußte die einhei­mische Wehr ausrücken. Dabei war sie nicht selten zwei bis drei Tage und Nächte im Einsatz.
Dies verur­sachte bei den beteiligten Feuerwehrleuten, die in der Regel ihren
Broterwerb als Tagelöhner verdienten, herbe Einkommensverluste, die bis zur
Existenzbedro­hung der Großfamilien führen konnte. Bürgermeister Gärtner hatte
die Problematik erkannt und wollte den Betroffenen Lohnentschädigung für ihren
Einsatz zah­len lassen. Dies verbot der Kreisrat, da er befürchten mußte, daß Kosten auch von anderen Ortswehren zu erwarten waren. Gärtner gab nicht auf und stellte seine Forderungen immer wieder. Es kam zur Eskalation, als die einheimische Wehr beim Schadensfeuer in Abt­steinach am 28. Februar 1833 nicht zur Hilfe eilte. Bürgermeister Gärtner, ob der Nichthilfeleistung sei­ner Wehr vom Kreisrat zur Rede gestellt, führte zur Entschuldigung halbherzige Gründe an, die wohl auch angenommen worden wären, hätte der Bürgermeister nicht im Anhang nochmals auf die Kosten der beteilig­ten Wehrmänner bei solchen Einsätzen hingewiesen. Dies legte der Kreisrat als bewußte Hilfeverweigerung aus.
Gärtner wurde vom Kreisrat angeklagt und konnte dabei nur mit Mühe und wegen
seines unbescholtenen Leumunds einer Bestrafung entgehen.

 

Das Scharmützel am Kuhklingen

 

Als sich die Freischärler mit den Reichstruppen nach der mißglückten 1848/49er Revolution Rückzugsge­fechte in Süddeutschland lieferten, kam es im Juni 1849 auch am Kuhklingen zwischen Wald-Michelbach und Siedelsbrunn zu einem Feuergefecht.

Das Hauptquartier der Reichstruppen, das sogenannte Neckarkorps, bestehend aus hessischen, bayerischen und mecklenburgischen Einheiten lag zu dieser Zeit im nahen Fürth. Hier war auch deren Verpflegungsmagazin. Von dort durchstreiften die Truppen in fliegenden Kolonnen den Odenwald, um aufkommende Freiheitsgedanken im Keime zu ersticken.

Das Hauptquartier der Freischärler, das sogenannte "Fliegende Corps" im Odenwald, befand sich im badischen Schönau. Verschiedene Kampftruppen des Corps waren im südlichen Odenwald verteilt. So lag eine badische Schützenkompanie unter dem Kommando von Hauptmann Heuberger in Eiterbach. Die 2. Kompanie der Hanauer unter der Führung von Christian Anton Lautenschläger war von Schönau kommend in Lampenhain stationiert, und eine Kompanie des Mannheimer-Arbeiter-Bataillons unter der Führung von Heinsius lag in der Nähe von Abtsteinach.

Am 11. Juni bekamen o.g. Kampftruppen den Befehl, nach Wald-Michelbach vorzurücken. Falls letzterer Ort vom Feind nicht oder nur schwach besetzt wäre, sollte er eingenommen werden. Zur Durchführung des Unternehmens sollten in der Nacht vom 12. zum 13. Juni u.a. die Schützenkompanie Heuberger über Siedelsbrunn, die Kompanie des Mannheimer-Arbeiter-Bataillons über Ober-Abtsteinach vorrücken. Danach sollte die 2. Kompanie der Hanauer Turner unter Lautenschläger zur Deckung des Vorhabens folgen. Hauptmann Heuberger erhielt am Vorabend des 11. Juni zuverlässige Nachricht, daß Wald-Michelbach noch nicht vom Feind besetzt sei, deshalb zog er beide Kompanien von Heinsius und Lautenschläger an sich und rückte am 12. Juni mit drei Truppenverbänden, von etwa 300 bis 400 Mann, in Wald-Michelbach ein. Dort erfuhr er, daß die feindlichen Staatstruppen- ihnen zahlenmäßig weit überlegen- im Anmarsch seien.
Heuberger entschloß sich zurückzugehen. Zwischen Wald-Michelbach und
Siedelsbrunn, am Bergsporn des Kottenberges oberhalb des Weilers Kuhklingen,
glaubte man eine günstige Verteidigungsstellung gefunden zu haben und bereitete
sich durch Schanzarbeiten auf den bevorstehenden Angriff vor. August Schärttner, Anführer der Hanauer Turnerschaft, war nicht persönlich beim Einsatz in Wald-Michelbach anwesend. Trotzdem protestierte er noch am 13. Juni bei Franz Sigel, dem Anführer der badischen Freischärlerarmee, gegen die willkürliche Entscheidung Hauptmann Neubergers, die noch nicht völlig zum aktiven Militärdienst ausgebildeten Turner bei einem offenen Kampf einzusetzen. Diese hatten nämlich in der Nacht vom 12. auf 13. Juni die Hauptwache zu stellen. Dazu wurden starke Vorposten und Patrouillen entsandt. Am frühen Morgen wurde eine Patrouille, welche unter der Führung des aus Frankenberg stammenden Wehrmannes Wilhelm Mantel stand, von einer Mecklenburger Kolonne überrascht und gefangen genommen. Bei dieser Gelegenheit erhielt Mantel fünf Bajonettstiche, worauf er mit anderen Verwundeten über Fürth nach Bensheim zur Wundbehandlung (vermutlich von den Reichstruppen) abtransportiert wurde.

Weitere Reichstruppen unter der Führung des Oberst von Witzleben waren mittlerweile im Überwald angekommen und teilten ihre Kräfte. Das 10. bayrische Jägerbataillon, verstärkt durch Großherzoglich Hessi­che Truppen, griff die Freiheitskämpfer am Kuhklingen direkt an. Die Truppen der Mecklenburger Einheiten umgingen die Stellung der Verteidiger und rückten von der Kreidacher Höhe aus an, um den Freischärlern den Rückzug abzuschneiden.
Angesichts der Übermacht zogen sich die Verteidiger schleunigst über Siedelsbrunn
in Richtung badische Grenze nach Hilsenhain bzw. Heiligkreuzsteinach zurück.
Dabei wu­den sie- nahe Siedelsbrunn- nochmals von den nachrückenden Mecklenburgern angegriffen.

Über das Gefecht selbst erfahren wir weitere Einzelheiten aus einem Eintrag Pfarrer Daubers im evangelischen Pfarrbuch von Wald-Michelbach:

 

Oberst von Witzleben, der Anführer des Neckar-Korps der bei Fürth stationierten Reichstruppen, hatte am 12. Juni 1849 erfahren, daß Wald-Michelbach von einer nicht unbedeutenden Masse Insurgenten (Freischärler) besetzt sei. Er beschloß dieselben sofort zu überfallen. Er zog zu diesem Zweck das Mecklenburgische Grenadier-Garde-Bataillon, 2 Kompanien Mecklenburgische-, 5 Kompanien Bayerische Jäger, eine Schwadron und 2 Geschütze in der Gegend von Märlenbach zusammen und rückte um 11 Uhr Nachts gegen das 2 Meilen entferne Wald-Michelbach vor.

Bild oben: Übersichtskarte des Kampfgeschehens von 12./13. Juni 1849 bei Wald-Michelbach

 

An dieser Stelle erscheint es angebracht, die Kräfteverhältnisse der sich feindlich gegenüberstehenden Parteien aufzulisten. Dies läßt sich durch die Truppen­teile in den oben aufgeführten Fachberichten annähernd errechnen: Die Freischärler-Kampfmannschaft bestand aus 3 bzw. 4 Kompanien, dies ergibt maximal 400 Mann, aus teilweise unvollkommen ausgebildet und schlecht bewaffneten Arbeitern und Turnern.
Dem stand ein Teil des Neckar Korps mit einem Bataillon und 7 Kompanien mit
über 1000 Berufssoldaten, dazu 100 Berittene und 2 Geschütze mit Kanonieren,
gegenüber. Der Marsch ging unbehindert bis ungefähr 1 1/4 Meile vor Wald-Michelbach. Hier meldete die Spitze, daß am Eingang desselben eine feindliche Feldwache stehe. Nach den getroffenen Anordnungen dirigierten sich 2 Kompanien Grenadiere und 2 Züge Kavallerie nach dem östlichen Ortsausgang, während die übrigen Truppen auf dem Wege von Mörlenbach blieben und von hier aus gegen den Ort vordrangen. Eine vorpo­stierte feindliche Abteilung wurde überwältigt und man drang in das Dorf ein. Dabei fiel ein Mecklenbur­ger Jäger. Die Nacht und das waldige Terrain begün­stigten die Flucht der überraschten Abteilung die nach dem im Grunde liegenden Siedelsbrunn eilten. Zwei nach Siedelsbrunn nachgesandte Kompanien hatten dort ein unbedeutendes Gefecht; sie nahmen ohne großen Widerstand das Dorf und schossen mehrere Freischärler nieder, während man den Rest der Frei­schärler bei anbrechendem Tage über die rückwärts liegenden Höhen gegen Ober-Abtsteinach fliehen sah. Die Verfolgung wurde nicht weiter als bis an die badi­sche Grenze fortgesetzt, aber das Schießen in den Ber­gen, auf die sich während der Nacht die Freischärler zurück gezogen hatten (Kuhklingen), dauerte noch eine halbe Stunde nach Tagesanbruch fort.

Gefangene wurden bei der Erbitterung der Soldaten gegen die Insurgenten nur wenige gemacht; man brachte deren 1 Offizier und 10 Mann. An Toten fand man in Siedelsbrunn und Wald-Michelbach deren 12, vorwiegend in Büschen und im Kornfeld.

Nach kurzer Ruhe zog das Detachement des Neckar-Korps wieder in seine Kantonierung zurück. Der unererwartete Angriff des Neckar-Detachements brachte die Insurgenren in solche Unordnung und ver­breitete einen solchen Schrecken, daß namentlich Heinsenius mit seinen Arbeitern und Lautenschläger mit den Hanauer Turnern zuerst das Terrain verließen, ihnen folgten die Kompanie Walther der Flüchtlings- Legion und die Arbeiterkompanie Herr. In wilder Flucht rasten sie über Schönmattenwag bis Heddes­bach, wo es endlich gelang, sie zu sammeln. Die Heuberger Schützen hatten sich, wie beschrieben, über den Kuhklingen nach Siedelsbrunn zurück gezogen.

Die Tirailleurs der Reserve unter Latour wurden in der Nähe von Wald-Michelbach ins Gefecht verwickelt (wohl auch beim Kuhklingen, da sie später in Rich­tung Eiterbach flohen) und auseinander gesprengt, weshalb es auch diese Abteilung angemessen hielt, sich über die Grenzen nach Eiterbach zurückzuziehen. Ein weiterer Augenzeugenbericht liegt vor. In den Angaben Über die Truppenstärke und die Vorberei­tung auf den Angriff auf Wald-Michelbach entspre­chen die gemachten Aussagen denen im oben ausgeführten Bericht. Deshalb sollen an dieser Stelle nur noch interessante Details wiedergegeben werden:

 

Oberst von Witzleben rückte Anfangs mit der ganzen Colonne vorsichtig gegen Wald-Michelbach vor Dann teilte er sie in zwei Trupps, um den 314 Stunden langen 1Ort zugleich von Osten und vom nordwestlichen Ende zu überfallen. Damit sollte dem Feind der Rückzug abgeschnitten werden. Indessen stieß die Wald-Michel­bach umgehende stärkere Colonne Nachts zwischen 1 und 2 Uhr auf der Chaussee nach Siedelsbrunn in der Nähe der Kuppe des Rotzenberges auf eine Feldwache der Freischaaren. Der Commandeur der 2. Mecklen­burger Schützenkompanie, Oberstlieutnant Nißbaum schoß die feindliche Schildwache nieder. Die Feldwa­che erwiderte das Feuer, was einem Mecklenburger Schützen das Leben kostete. Das Schießen verriet den Überfall, damit hatte der Feind Zelt in die umliegen­den bewaldeten Berge zu entkommen. Ebenso deutete die 2. Colonne, die unter dem Befehl von Hauptmann von Langernann stand, das Schießen als ein Zeichen zum Angriff und überrannte bei nur schwacher Gegen­wehr den Ort. Der 2. Stabsoffizier des bayer. 3. Jäger­bataillons, Major von Strohnter, sollte mit 2 Kompanien dem aus Wald-Michelbach fliehenden Feind den Rückzug abschneiden, verfehlte aber in der Dunkelheit den Weg. Der Feind, der aus 800 Mann bestanden haben soll, verlor 10 bis 12 Tote und 11 Gefangene. Diese waren 4 Badener, 1 Schweizer, 1 Un­gar, 1 Bayer, 1 Wiener, 1 Hannoveraner, 1 Kurhesse [wahrscheinlich Wilhelm Mantel aus Frankenberg von den Hanauer Turnern] und 1  Böhme.

Dies zeigt, wie vielfältig, ja sogar länderübergreifend das kämpfende Freiheitsheer zusammengesetzt war.

 

Am Kottenbergsattel, oberhalb des Kuhklingens, sind noch heute Wall und Graben zu erkennen, hinter welche sich die Freiheitskämpfer verschanzt hatten. Fritz Öhischläger vom Kuhklingen konnte noch lange Zeit Löcher in Bäumen zeigen, die von Gewehrkugelein­schlägen aus dem damaligen Gefecht herrührten. Der Volksmund bezeichnet diese Stelle auch als Freischär­lergrab, da hier zu Revolutionszeiten einige Freischär­ler bei Kämpfen ihr Leben verloren haben sollen und an Ort und Stelle begraben worden seien.

Die hiesigen Landwirte, besonders die Bauern Jakob Falter, Georg Walter und Adam Stay, wurden Jahre später für die bei dem Gefecht und bei der Verfolgung der Freischärler entstandenen Flurschäden von behörd­licher Seite mit 146 Gulden entschädigt.

Es wäre vermessen anzunehmen, die beschriebenen Kampfhandlungen bei Wald-Michelbach hätten sich maßgeblich auf die in den nächsten Wochen im  pfäl­zisch-badischen Raum stattgefundenen Kriegsereignis­se ausgewirkt.
Bewiesen ist zumindest, daß der mit Wucht und Präzision durchgeführte Neckar-Korps­ Überfall die Moral der Freiheitskämpfer negativ beein­flußt hatte. Dies führte zur Fahnenflucht und Meutereien unter der Freiwilligentruppe, die von deren Führung nur durch Inhaftierungen geahndet werden konnten.

 

Unbekannt ist, wie sich die einheimischen Patrioten zu den vorbeschriebenen Ereignissen in und um Wald­-Michelbach im Juni 1849 verhalten haben. Aus zeitge­nössischen Beschreibungen wissen wir, daß die bei der blutig verlaufenden Volksversammlung in Ober-Lau­denbach beteiligten Personen durch Regierungsbeauf­tragte starken Repressalien ausgesetzt waren. Der aktive Teilnehmer der Volksversammlung in Ober-­Laudenbach, Johann Adam Gärtner, z.B. wurde, wie schon erwähnt, beschuldigt, für die feindlichen Kräfte Spionagedienste geleistet zu haben. Am 23. Juli 1849 endete der Völkerfrühling mit der Kapitulation der letzten Freiheitskämpfer in der Festung Rastatt, er­zwungen durch die reaktionären Truppen des Deutschen Landes. Es läßt sich vermuten, daß zumindest Gärtner mit den Freischärlern bis zum bitteren Ende sympathisiert hat. Im September 1849 emigrierte er nach Amerika, um einer bevorstehenden Bestrafung zu entgehen.

 

Zum Andenken an das Scharmützels im Kuhklingen wurde dort ein Gedenkstein mit eingelassener Bronzetafel aufgestellt. Die Inschrift darauf lautet:

 

Gedenkstein für die am 13.6.1849 hier gefallenen Freiheitskämpfer

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© Hans-Günther und Jürgen Morr